Pınar Selek

Pınar Selek während einer Pressekonferenz in Straßburg am 25. Januar 2013.
Pinar Selek und Günter Wallraff während einer Pressekonferenz in Straßburg am 25. Januar 2013.

Pınar Selek (* 8. Oktober 1971 in Istanbul)[1] ist eine türkische Publizistin und Soziologin, die sich in ihren Veröffentlichungen insbesondere für die Rechte von Minderheiten einsetzt.

Leben

Bekannt geworden ist Pınar Selek mit Untersuchungen und Arbeiten zu diskriminierten Gruppen wie Transmenschen, Straßenkindern und Prostituierten. 1998 geriet sie nach Recherchen über die PKK unter Terrorverdacht. Sie wurde damals – mit dem Vorwurf der Propagandaarbeit für die PKK und der Beteiligung an einem Bombenanschlag auf den Ägyptischen Basar in Istanbul – inhaftiert und nach eigenen Angaben schwer misshandelt (Folterung durch Strappado und Elektroschocks).[2] Nach ihrer Freilassung zweieinhalb Jahre später wurde sie 2002 und 2006 freigesprochen. Bis heute ist unter gerichtlich bestellten Gutachtern umstritten, ob es sich bei der Explosion in dem Basar überhaupt um eine Bombe handelte oder um einen Unfall mit einem Gasbehälter.[3]

Im November 2010 wurde entschieden, dass das Verfahren neu aufgerollt werden muss.[4][5] Der Staatsanwalt forderte lebenslange Haft. Der erste Verhandlungstag am 9. Februar 2011 endete mit einem erneuten Freispruch, der jedoch ein weiteres Mal vom Kassationsgericht aufgehoben wurde.[6][7]

Am 24. Januar 2013 verurteilte die 12. Kammer des Istanbuler Gerichts für schwere Straftaten sie zu lebenslanger Haft. Pınar Selek war bei der Urteilsverkündung nicht anwesend. Der Schriftstellerverband P.E.N.-Zentrum Deutschland sprach von einer „beispiellosen Prozessfarce“. Derselbe Richter, der Pınar Selek dreimal freisprach, habe nun die „definitive Aufhebung des Freispruchs“ bestätigt.[7] Der deutsche Autor Günter Wallraff, der als Beobachter zum Prozess angereist war, kommentierte, dass das Urteil „nicht mal mehr den Anschein von Rechtsstaatlichkeit“ wahre.[8] Im Juni 2014 hob das oberste Gericht in Ankara das Urteil gegen Selek wegen Formfehlern auf; der Fall wurde erneut verhandelt.[9] Im Dezember 2014 wurde sie auch in diesem Verfahren freigesprochen.

Selek wohnte zeitweise in Berlin, wo sie unter anderem von der Heinrich-Böll-Stiftung und vom P.E.N.-Zentrum Deutschland unterstützt wurde. Inzwischen studiert sie Politologie an der Universität Straßburg und arbeitet an ihrer Dissertation.

Pınar Selek ist eine Tochter des bekannten linken Rechtsanwalts Alp Selek.[10]

Werke

  • Zum Mann gehätschelt, zum Mann gedrillt: Männliche Identitäten, Orlanda, Berlin 2010, ISBN 978-3-936937-73-2
    • In Türkisch: Sürüne Sürüne Erkek Olmak. Iletisim Yayinlari, Istanbul 2008, ISBN 975-05-0621-9
  • Beitrag in: Wilhelm Genazino Hg., Istanbul. "Sterbende Schöne" zwischen Orient und Okzident? Reihe: Corso Folio. Corso-Groothuis-Lohfert, Hamburg 2011, ISBN 3-86260-021-1
  • Halbierte Hoffnungen, Orlanda, Berlin 2012, ISBN 978-3-936937-87-9
    • Auf Französisch: La Maison du Bosphore. Liana Levi, Paris 2013[11] ISBN 978-2-86746-669-4.
    • als E-Book in französischer Sprache: ISBN 978-2-86746-672-4
  • Weil sie Armenier sind, Essay. Orlanda, Berlin 2015, ISBN 978-3-944666-18-1
    • Auf Französisch: Parce qu’ils sont arméniens. Liana Levi, Paris 2015, ISBN 978-2-86746-764-6
    • als E-Book in französischer Sprache: ISBN 978-2-86746-759-2

Literatur

  • Karen Krüger: Das sind doch alles ramponierte Wesen: Die Soziologin Pinar Selek hat ein Buch über den türkischen Männlichkeitskult geschrieben und musste deshalb aus dem Land flüchten. in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. September 2010

Weblinks

Commons: Pınar Selek – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
  • Literatur von und über Pınar Selek im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
  • pinarselek.com
  • Aufruf zur Unterstützung von Pinar Selek in: P.E.N.-Zentrum Deutschland
  • French interview of Pinar Selek
  • Boris Kálnoky: Türkei – Lebenslänglich für Soziologin nach drei Freisprüchen. Auf welt.de vom 24. Januar 2013. Zuletzt abgerufen am 25. Januar 2013.
  • Ich spüre große Solidarität Die Soziologin und Autorin Pinar Selek spricht mit Hülya Köylü Schenk über ihre Verurteilung zu lebenslanger Haft in der Türkei und die Solidarität, die sie von Teilen der Gesellschaft erfährt.
  • Renate Maurer: Ich widersetze mich! Pinar Selek – Türkische Soziologin und Menschenrechtlerin Radiofeature. Co-Produktiuon von SWR und ORF 2023, abgerufen am 16. Dezember 2023.

Einzelnachweise

  1. Originals vom 11. Dezember 2020 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.pen-deutschland.de
  2. Aus Büchern eine Bombe gemacht in: Telepolis vom 8. Mai 2010
  3. Lebenslange Haft für türkische Autorin in: Focus Online vom 23. November 2010
  4. Fall Selek wird neu aufgerollt in: Zeit Online vom 24. November 2010
  5. Weiter unschuldig in: faz.net vom 24. November 2010
  6. Pinar Selek erneut freigesprochen in: Spiegel Online vom 9. Februar 2011
  7. a b Exil-Autorin Selek zu lebenslanger Haft verurteilt Spiegel Online, 24. Januar 2013
  8. Empörung über Verurteilung der Soziologin Pinar Selek Hamburger Abendblatt, 25. Januar 2013
  9. Gericht hebt Urteil gegen Selek auf. (Memento vom 18. März 2015 im Internet Archive) tagesschau.de, 11. Juni 2014
  10. Türkische Friedensaktivistin Pinar Selek in taz.de vom 5. August 2009
  11. April 2013
Normdaten (Person): GND: 141138246 (lobid, OGND, AKS) | LCCN: no2003094295 | VIAF: 120192477 | Wikipedia-Personensuche
Personendaten
NAME Selek, Pınar
ALTERNATIVNAMEN Selek, Pinar
KURZBESCHREIBUNG türkische Menschenrechtsaktivistin, Soziologin und Autorin
GEBURTSDATUM 8. Oktober 1971
GEBURTSORT Istanbul